«Memento moriendum esse». Ob in Öl gemalt, ehrfürchtig zwischen Büchern platziert oder auf Grabsteine gemeisselt: Früher rümpfte niemand die Nase oder wendete sich angewidert ab, wenn man symbolisch an seine eigene Vergänglichkeit gemahnt wurde. Nur heute ist dies anders. Heute findet der Tod in der Abgeschiedenheit eines Friedhofes oder der Anonymität fremder Spitalzimmer statt und ein Schädel ist etwas, was man lieber nicht berühren möchte, geschweige denn bei sich zuhause auf dem Schreibtisch stehen hat. In einer Zeit, in der Jugend und ewige Schönheit alles ist, in der eine Geburt zum beinahe schon medialen Ereignis hochstilisiert wird, findet die andere, natürliche Seite des Lebens – das Ende – keinen Platz mehr.
Als ich mich mit 8 Jahren nieder kniete und neugierig durch das vergitterte Bodenfenster einer mitten im toskanischen Nirgendwo gelegenen Kirche blickte, war es um mich geschehen. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die staubige Dunkelheit des erspähten Schachtes zu gewöhnen. Doch dann sah ich ein von zerknüllten Taschentüchern, Schokoladenpapierchen und Cola-Büchsen kunstvoll umrandetes Gräberfeld menschlicher Schädel. Auf einen Schlag interessierte mich der Grund unseres Besuches – die unglaublich seltene Akkustik des kirchlichen Kuppelbaus – nicht mehr im Geringsten und ich bettelte meinen Vater an, er möge mir doch (nur) ein einziges Exemplar der vielen Totenköpfe aus dem finsteren Loch fischen. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass sich meine Eltern in keinster Weise durch mein verzweifeltes Flehen erweichen liessen und mir stattdessen einen kleinen Souvenir-Schädel aus gepresstem Carrara-Marmorstaub in die Hand drückten. Etwas mit dem man so gar nicht vor seinen Spielkameraden prahlen kann. Nicht zuletzt, weil sich mein Vater einige Jahre später selber einen echten Kopf ins Regal seiner Bibliothek stellte und mir verbot auch nur in seine Nähe zu kommen, schwor ich mir mich für die fehlende Empathie meiner Eltern bitterlich zu rächen. Zehn Jahre später war es dann soweit: Mit meinem ersten Lehrlingslohn kaufte ich meinen ersten Menschenschädel. Über all die Jahre blieb es nicht bei diesem einen. Doch: Das erste Mal vergisst man bekanntlich nie und so ziert das geliebte Objekt meiner Begierde und Rache, sorgfälltig unter einer Glaskuppel gebettet, immer noch unser schmuckes Heim.
Aus meiner «Wunderkammer»:
[A] (mein Erstkauf)
Männlicher Schädel, 20. Jahrhundert, vermutlich aus dem arabischen Raum.
Schöne Patina, Unterkiefer mit Nägeln befestigt, Zähne teilweise mit Füllung.
[B]
Mädchen-Schädel, vermutlich 19. Jahrhundert, aus Familienbesitz, Emmental.
Wunderschöne Patina, leider kein Unterkiefer vorhanden.
[C]
Männlicher Schädel, Alter und Herkunft unbekannt.
Unterkiefer mit Draht befestigt, Gebiss sehr gut erhalten, Zähne teilweise mit Wachs wieder eingesetzt.
[D]
Weiblicher Schädel, 50er-Jahre 20. Jahrhundert, aus Familienbesitz, Kanton Bern.
Sehr seltene Rarität: Das Original des massgenau angepassten dritten Gebisses ist immer noch vorhanden und kann problemlos auf den Unter- und Oberkiefer des Schädels gesetzt werden. Unterkiefer nicht befestigt.
Nur damit es erwähnt sei: Alle Schädel wurden legal auf Antiquitätenmessen und aus Privatbesitz erworben und nicht heimlich bei Nacht und Nebel ausgegraben. Meine Kaufquellen verrate ich natürlich nicht.