Sonntag, 22. März 2015

Frösche und urbane Legenden



Wer erfolgreich dazu überredet wird, einem Unterhaltungsabend mit mehrheitlich unbekannten Pärchen beizuwohnen, ist nicht zu beneiden. Von Anfang an wird man sich dem Dilemma einer grundlegenden Entscheidung stellen müssen. Trinke ich mir nun die aufgezwungene Gesellschaft schön und nehme tapfer die schmerzvolle Aufarbeitung daraus resultierender Fehltritte und Ausrutscher in Kauf – oder – werde ich mich mutig dem Ansturm immer gleicher Smalltalk-Kaskaden stellen? Fällt die Wahl, trotz besseren Wissens, auf das letztere, muss man sich auf viel unangenehmeres als die verzweifelte Suche nach belanglosen Themen gefasst machen: Die peinliche Stille wenn alles gesagt wurde. Dieser begegnen Gastgeber nämlich gerne mit der Einladung zu einem kurzweiligen Spiel – oft ein gegenseitiges Messen des über Jahre mühsam angeeigneten Allgemeinwissens. Nun bedarf es einer schnellen Reaktion. Die einzige Möglichkeit etwas Vergnügen zu erfahren und sich keine Blösse zu geben, besteht darin, bereitwillig die Rolle des Spielleiters einzunehmen. Bietet dies doch die einmalige Chance andere schlecht dastehen zu lassen während man selber durch anspruchsvolle Fragestellungen brilliert. Besonders hinterhältig ist es, sich dabei urbaner Legenden zu bedienen. Es gibt keinen wirkungsvolleren Weg das Halbwissen der Mitspieler an den Pranger zu stellen.

Ein Beispiel gefällig, über das ich letzthin selber gestolpert bin? «In welchem Märchen der Gebrüder Grimm wird ein Frosch geküsst und verwandelt sich darauf in einen Prinzen?» Selbstverständlich kennen wir alle die Antwort, schliesslich bezieht sich die Frage ja auf die wohl bekannteste Erzählung der Märchenwelt. Doch wird mit Sicherheit ein Grossteil von uns falsch liegen. Denn in keiner grimmschen Fassung findet sich auch nur die leiseste Andeutung eines Kusses. Stattdessen wird die Amphibie erst durch einen lieblosen Wurf an die Wand in einen küssenswerten Jüngling verwandelt. Ganz ehrlich, auch ich habe diesen politisch unkorrekten Gewaltakt gegen ein schutzloses Tier unbewusst verdrängt und bereitwillig der in Verfilmungen und auf Märchenkassetten verbreiteten, kindergerechten Metamorphose durch eine Zärtlichkeit den Vorzug gegen. Irritiert habe ich mir die bange Frage gestellt, was wohl aus dem armen Froschkönig geworden ist, der durch eine urbane Legende fehlgeleitet, ewig auf die Prinzessin mit dem Erlösungskuss wartet. Er würde längst luftgetrocknet auf einem Seerosenblatt am Rande des Teiches sitzen. Die Augen für immer geschlossen und den Mund erwartungsvoll in die Luft gereckt.

Dieses Bild hat mich mit grossem Mitleid erfüllt. Gibt es doch so manchen unscheinbaren Lurch unter uns, der schon ewig auf die Verwandlung durch eine liebreizende Prinzessin hofft. Ich möchte an die Scharen dieser Ungeküssten erinnern und habe ihnen ein kleines Denkmal gesetzt:

«NEVER BEEN KISSED»
Mumifizierter Frosch mit Metallkrone und Spielkugel auf Seerosenblatt.
Tierpräparat, Draht, Papiermaché, Wachs und Acrylfarbe




Und für alle die daran zweifeln, dass selbst die Erschaffung kleiner «Denkmäler» oft übermenschlich grosse Anstrengungen erfordern, hier meine Anleitung zur Herstellung eines Seerosenblattes.

[1]


Blattform aufzeichnen, Seidenpapier in 6 Lagen der Form entsprechend zuschneiden.
Draht für die Blatt-Mittelrippe, die Seitenrippen und den Stil in die passende Länge bringen 
und mit Metall-Leim gut verkleben. 

[2]


Seidenpapierblätter auf der Oberseite der Drahtrippen in 4 Lagen, auf der Unterseite in 2 Lagen
mit Kleister vorsichtig aufkleben.

[3]


Nach dem Trocknen mit Acrylfarbe in einem hellen Ton grundieren.
Wachs in einer feuerfesten Form auf Kochplatte oder ähnlichem so stark erhitzen, dass dieser leicht zu rauchen beginnt. Beide Blattseiten in den Wachsdampf halten.
Blatt abkühlen lassen und Vorgehen wiederholen, bis sich eine dünne Wachsschicht gebildet hat.

ACHTUNG FEUERGEFAHR! 
Bei zu starker Erhitzung und Unreinheiten im Wachs kann dieser Feuer fangen. Unbedingt eine feuerfeste Abdeckung für das verwendete Gefäss bereit halten, um allfällige Flammen schnell ersticken zu können. Niemals mit Wasser zu löschen versuchen. Anwendung auf eigene Gefahr.

[4]


Definitive Koloration auftragen. Bei helleren Blattstellen die bereits aufgetragene Grundierung
durchscheinen lassen.

[5]


Abschliessend auf der Blattoberseite nochmals eine dünne Schicht Wachs aufdampfen.
(Siehe unter [3] – Feuergefahr)
Mit Mikrofasertuch die Oberfläche polieren und gegebenenfalls etwas nachkolorieren.

Zeitaufwand: Mindestens 12 Stunden ohne Trocknungsprozess

Samstag, 21. März 2015

Der Duft einer stillen Nacht



Gerüche wirken unmittelbar. Ein Hauch nahenden Schneefalls, frisch gebackenen Brotes oder im Dunkel blühenden Jasmins – Düfte wecken unsere Erinnerungen und Sehnsüchte, inspirieren oder irritieren, können uns beruhigen, berauschen, erregen aber auch abstossen. Sie überwinden mit Leichtigkeit unsere Selbstkontrolle, umgarnen oder warnen uns und spielen mit unseren Gefühlen, ob wir dies nun wollen oder nicht. Ihre Kraft und Macht hat mich immer schon fasziniert. 

Die Fertigkeit einen Geruch einzufangen, zu konservieren und in ein Fläschchen zu füllen, halte ich für eine grosse Errungenschaft der Menschheit. Essenzen sind ein Schlüsselbund in das labyrinthische Pfortengefüge unseres Unterbewusstseins. Eine Entführung auf Abruf und Zeit. Sie so zu kombinieren dass sie in uns einen Bildersturm hervorrufen, ist eine wahre Kunst, die – leider – nur ganz wenige von uns beherrschen. Zu viele schlecht komponierte Parfüme, arglos auf den Markt geworfen, beleidigen täglich unsere Nasen und ohne es zu wissen, diejenigen die sie tragen. Persönlichkeit und Stil sind kein Markenentscheid, sondern ein Prozess der Selbstfindung und dieser lässt sich nicht durch das zu schnelle Ziehen der Kreditkarte beschleunigen. So sollte alles, womit wir uns umgeben, stets sorgfältig gewählt sein und unserer Lebensgeschichte und innersten Wahrnehmung entsprechen. Auch wie wir riechen.

Unverhofft begegnete ich eines Tages «Hinoki». Klein und ganz schlicht verpackt, wirkt es wie ein Mauerblümchen im goldgeprägten, barocken Reigen all der wuchtig klingenden Markenparfüme. Auf den ersten Blick ist seine Herkunft eher fragwürdig. Wurde es doch im Auftrag des Lifestyle-Magazines «Monocle» kreiert. Ein zumindest gestalterisch missratenes Kind aus dem Design-Universum des Tyler Brûlé. Die wahre Schöpferin hinter «Hinoki» ist das Label «Comme Des Garçons», respektive ihr Parfümeur Antoine Maisondieu. Dieser Umstand verspricht zumindest eine solide Qualitätsarbeit. Zu meiner grossen Freude ist «Hinoki» aber weitaus mehr. Fernab des modisch-trendigen Einheitsbreis, steht dieser Duft so angenehm ungefällig und quer in der Landschaft, dass ihn wohl die wenigsten von uns auf Anhieb lieb gewinnen können. 

«Hinoki» ist einzigartig, irritierend, wundervoll. Zunächst wähne ich mich in einem Kiefernwald, das Gesicht tief in Bündeln morsch-rauchigen Holzes vergraben. Dann ziehen unvermittelt Wände hoch. Ich schreite über knarzende Dielen in ein dunkles Atelier. Hier riecht es nach Terpentin, Staub, alten Büchern und längst verglühtem Weihrauch. Ein Raum, in den man sich zurückzieht, um einsam glücklich zu sein. Zuletzt entschwebe ich durch ein Fenster in eine ferne, neblig-feuchte Mooslandschaft und verliere mich in wohltuender Stille. Ein Duft für die Nacht. Dann wenn alles Leben ruht, der Alltag schweigt und die späten Stunden durchwacht, einzig und alleine mir gehören. Geisterhaft, geheimnisvoll und auch etwas morbide, ist er mein Begleiter um in diesen zeitlosen Momenten die Fantasie schweifen zu lassen und meinen Gedanken nachzugehen. Ja – im Dunkel kann man sich auch geborgen fühlen. Wahrlich, ein Parfüm für schlaflose Nachtmenschen, die keiner Gesellschaft bedürfen um vollkommen zu sein.