Wer erfolgreich dazu überredet wird, einem Unterhaltungsabend mit mehrheitlich unbekannten Pärchen beizuwohnen, ist nicht zu beneiden. Von Anfang an wird man sich dem Dilemma einer grundlegenden Entscheidung stellen müssen. Trinke ich mir nun die aufgezwungene Gesellschaft schön und nehme tapfer die schmerzvolle Aufarbeitung daraus resultierender Fehltritte und Ausrutscher in Kauf – oder – werde ich mich mutig dem Ansturm immer gleicher Smalltalk-Kaskaden stellen? Fällt die Wahl, trotz besseren Wissens, auf das letztere, muss man sich auf viel unangenehmeres als die verzweifelte Suche nach belanglosen Themen gefasst machen: Die peinliche Stille wenn alles gesagt wurde. Dieser begegnen Gastgeber nämlich gerne mit der Einladung zu einem kurzweiligen Spiel – oft ein gegenseitiges Messen des über Jahre mühsam angeeigneten Allgemeinwissens. Nun bedarf es einer schnellen Reaktion. Die einzige Möglichkeit etwas Vergnügen zu erfahren und sich keine Blösse zu geben, besteht darin, bereitwillig die Rolle des Spielleiters einzunehmen. Bietet dies doch die einmalige Chance andere schlecht dastehen zu lassen während man selber durch anspruchsvolle Fragestellungen brilliert. Besonders hinterhältig ist es, sich dabei urbaner Legenden zu bedienen. Es gibt keinen wirkungsvolleren Weg das Halbwissen der Mitspieler an den Pranger zu stellen.
Ein Beispiel gefällig, über das ich letzthin selber gestolpert bin? «In welchem Märchen der Gebrüder Grimm wird ein Frosch geküsst und verwandelt sich darauf in einen Prinzen?» Selbstverständlich kennen wir alle die Antwort, schliesslich bezieht sich die Frage ja auf die wohl bekannteste Erzählung der Märchenwelt. Doch wird mit Sicherheit ein Grossteil von uns falsch liegen. Denn in keiner grimmschen Fassung findet sich auch nur die leiseste Andeutung eines Kusses. Stattdessen wird die Amphibie erst durch einen lieblosen Wurf an die Wand in einen küssenswerten Jüngling verwandelt. Ganz ehrlich, auch ich habe diesen politisch unkorrekten Gewaltakt gegen ein schutzloses Tier unbewusst verdrängt und bereitwillig der in Verfilmungen und auf Märchenkassetten verbreiteten, kindergerechten Metamorphose durch eine Zärtlichkeit den Vorzug gegen. Irritiert habe ich mir die bange Frage gestellt, was wohl aus dem armen Froschkönig geworden ist, der durch eine urbane Legende fehlgeleitet, ewig auf die Prinzessin mit dem Erlösungskuss wartet. Er würde längst luftgetrocknet auf einem Seerosenblatt am Rande des Teiches sitzen. Die Augen für immer geschlossen und den Mund erwartungsvoll in die Luft gereckt.
Dieses Bild hat mich mit grossem Mitleid erfüllt. Gibt es doch so manchen unscheinbaren Lurch unter uns, der schon ewig auf die Verwandlung durch eine liebreizende Prinzessin hofft. Ich möchte an die Scharen dieser Ungeküssten erinnern und habe ihnen ein kleines Denkmal gesetzt:
«NEVER BEEN KISSED»
Mumifizierter Frosch mit Metallkrone und Spielkugel auf Seerosenblatt.
Tierpräparat, Draht, Papiermaché, Wachs und Acrylfarbe
Und für alle die daran zweifeln, dass selbst die Erschaffung kleiner «Denkmäler» oft übermenschlich grosse Anstrengungen erfordern, hier meine Anleitung zur Herstellung eines Seerosenblattes.
[1]
Blattform aufzeichnen, Seidenpapier in 6 Lagen der Form entsprechend zuschneiden.
Draht für die Blatt-Mittelrippe, die Seitenrippen und den Stil in die passende Länge bringen
und mit Metall-Leim gut verkleben.
[2]
Seidenpapierblätter auf der Oberseite der Drahtrippen in 4 Lagen, auf der Unterseite in 2 Lagen
mit Kleister vorsichtig aufkleben.
[3]
Nach dem Trocknen mit Acrylfarbe in einem hellen Ton grundieren.
Wachs in einer feuerfesten Form auf Kochplatte oder ähnlichem so stark erhitzen, dass dieser leicht zu rauchen beginnt. Beide Blattseiten in den Wachsdampf halten.
Blatt abkühlen lassen und Vorgehen wiederholen, bis sich eine dünne Wachsschicht gebildet hat.
ACHTUNG FEUERGEFAHR!
Bei zu starker Erhitzung und Unreinheiten im Wachs kann dieser Feuer fangen. Unbedingt eine feuerfeste Abdeckung für das verwendete Gefäss bereit halten, um allfällige Flammen schnell ersticken zu können. Niemals mit Wasser zu löschen versuchen. Anwendung auf eigene Gefahr.
[4]
Definitive Koloration auftragen. Bei helleren Blattstellen die bereits aufgetragene Grundierung
durchscheinen lassen.
[5]
Abschliessend auf der Blattoberseite nochmals eine dünne Schicht Wachs aufdampfen.
(Siehe unter [3] – Feuergefahr)
Mit Mikrofasertuch die Oberfläche polieren und gegebenenfalls etwas nachkolorieren.
Zeitaufwand: Mindestens 12 Stunden ohne Trocknungsprozess