Sonntag, 20. März 2011

Sehnsucht-Destination {4} «Cane Hill»


Vielleicht ist es ja eine gewisse Liebe zum Wahnsinn, die in mir das lodernde Feuer der Leidenschaft für viktorianische Irrenhäuser entfacht hat. Doch den in verwitterten Spitalgängen geparkten Rollstühlen, mit fleckigen Laken bezogenen Patientenbetten; schuttbedeckten Seziertischen und verklebten Badezubern kann mein latenter Hang zum Morbiden einfach nicht widerstehen. So begann mich die Geschichte der Psychiatrie in Grossbritannien mit ihren uverwechselbar monströsen Zweckbauten des 19. Jahrhunderts zu faszinieren und bis heute nicht mehr loszulassen. 

In der Silvesternacht vor zwei Jahren, hielt ich Bluebell einen euphorischen Monolog über meine selbst diagnostizierte «Asylum-Manie» und erzählte Ihr von Cane Hill, einer von über 100 Kliniken für Geisteskranke, die im betreffenden Zeitraum erbaut wurden um gutes zu tun und die erbärmlich überfüllten Armenhäuser zu entlasten. Das 1882 in der Nähe von Coulsdon eröffnete Irrenhaus, steht seit 1992 verlassen mitten in der wundervollen Landschaft Surreys und wurde seither zu einem Mekka für Urban Explorer und – leider auch – für Vandalen. Ein Grund, weshalb ich auf dem Internet eine Vielzahl von Bildern, Filmchen und Berichten gerade über diese Institution gefunden habe und auf sie aufmerksam wurde. Nun, als Bluebell den Namen «Cane Hill» hörte, griff sie beherzt in unsere Musiksammlung und hielt mir «Hopeless Cases» von Anne Clark unter die Nase. Anne Clark arbeitete zeitweise als Krankenschwester in Cane Hill und sah sich durch ihre dort gemachten Eindrücke wohl dazu bewogen, dieser Klinik und ihren Insassen ein Lied zu widmen. Der perfekte Soundtrack um  geistig durch die mit abgelbätterter Bleifarbe, Scherben und Regenpfützen bedeckten Gänge dieses altehrwürdigen Gebäudes zu wandeln. 

Cane Hill hatte – wie viele Irrenhäuser – auch seine halbwegs prominenten Insassen. So waren Charles Chaplins Mutter Hannah und die Brüder von Michael Cane und David Bowie mehr oder weniger freiwillige Patienten. Auch bei Bowie selber scheint ein Besuch Spuren hinterlassen zu  haben. So findet man die unverwechselbare Fassade des Administrations-Gebäudes von Cane Hill auf dem Cover von «The Man Who Sold The World».


Cane Hill bleibt leider auf Ewig eine Destination der Sehsucht. Inzwischen wurde der riesige Gebäudekomplex dem Erdboden gleich gemacht, um einer weiteren, gesichtslosen Reihensiedlung Platz zu machen. Noch steht die imposante Kapelle, doch der berühmte Verwaltungsblock mit seinem Uhrentürmchen wurde letzten November ein Raub der Flammen. Leb wohl, Cane Hill.

Einen Wunsch hege ich noch: Falls jemand beim durchstöbern eines englischen Flohmarktes zufällig auf den Nursing Badge von Cane Hill stossen sollte – kaufen, mir überreichen und ewig von mir geliebt werden...

 
Mehr zu Cane Hill gibt es hier und hier.
© Bilder by: Simon Cornwell, Abandoned Britain, Andre Govia, Howzey

Dienstag, 8. März 2011

Apokalyptische Tabernakel für den Heimaltar.


Wer kennt das nicht? Man lässt nach langer Wegsuche ein sturmgepeitschtes, trost- und gottloses Hochmoor hinter sich und betritt zum ersten Mal sein von einem unbekannten aber steinreichen Onkel geerbtes Manor House. Nach einer ausgedehnten Besichtigungstour durch die 48 Zimmer des Hauses, findet man sich unverhofft in der zwischen Bibliothek und Küche geschickt verborgenen Hauskapelle wieder. Die Einrichtung ist spärlich und man stellt schnell fest, dass der ehemalige Besitzer im schmucklos-wurmstichigen Tabernakel statt geweihter Hostien seine vor dem Hausdrachen versteckte Whiskey-Sammlung gehortet hat. Für einen überzeugten katholisch-anglikanischen Atheisten ist ein solcher Frevel unerhört und man beschliesst, das schändlich entweihte Möbel sofort durch einen adäquaten Neuerwerb zu ersetzten. Doch woher nehmen und nicht stehlen? 

Hier kann nun geholfen werden. Kris Kuksi's altarähnliche Apokalyptik-Gebilde dürften die Herzen aller Schattenwesen – von Poe über Shelley bis Lovecraft – höher schlagen lassen und die nächste Messe zur Anrufung des grossen Cthulhu wahrlich bereichern. Auch an unsere Zeitgenossen mit einem ausgeprägten christlichen Sendungsbewusstsein wurde gedacht. Das «mobile Gotteshaus» (Abb. 4) dürfte ein willkommenes Vehikel für die kommende Missionsarbeit im nahen Osten sein...

Mehr von und zu Kris Kuksi (©).